An der Tagung „Strafbarkeit der Knabenbeschneidung?“ war prepuce.ch wie angekündigt präsent. Es war ein intensiver Tag, mit vielen Vorträgen und Diskussionen bis in den späteren Abend. Die Tagung ermöglichte es Menschen mit unterschiedlichsten Perspektiven und auch in verschiedenen gesellschaftlichen Verantwortungspositionen, miteinander in einen direkten Austausch zu treten. Dabei zeigte sich auch, wie viel es für einen respektvollen Diskurs zu Fragen der Genitalen Selbstbestimmung von Kindern mit Penis noch zu tun gibt. Obwohl die entscheidenden Faktengrundlagen insbesondere aus medizinisch-körperlicher Sicht in aller Klarheit präsentiert wurden, kamen auch Meinungen zum Ausdruck, die in direktem Widerspruch dazu standen und teilweise auch das Leid von Betroffenen verharmlosten. Dagegen, sowie gegen leider ebenfalls gefallene ausgrenzende Äusserungen, haben wir mit Protest reagiert.
Abgesehen von diesen Tiefpunkten schätzen wir diese Tagung auch aus Betroffenensicht insgesamt als einen wichtigen Anfangspunkt für einen ernsthaften und offenen Dialog ein.
Das Statement, das Manasseh und Ephraim im Rahmen des Vortrags von Christoph Geissbühler, Geschäftsführer von Pro Kinderrechte, machten, hier als Video mit Transkript:
Transkript
Manasseh:
Wir stehen heute vor Ihnen als Betroffene einer Verletzung an unserem Körper und an unseren Grundrechten. Als wir acht Tage alt waren, hat ein Arzt auf Wunsch unserer Eltern unsere Vorhaut abgeschnitten. Wir schrien und wehrten uns, mussten festgehalten werden, während er ungefähr die Hälfte der Haut unseres Penis mit einem Messer abtrennte.
Während wir als Kinder heranwuchsen, konnten wir nicht verstehen, dass an unserem Genital etwas fehlte, es verändert worden war. Unseren Körper nahmen wir so, wie wir ihn kennenlernten und wie er uns erklärt wurde. „Beschnitten“, war die beschönigende Beschreibung, „das ist gut für dich“, „ein Zeichen, dass du jüdisch bist, gleich, wie bei deinem Vater und deinen Brüdern“. Ein Kind freut sich darüber, es zweifelt nicht. So konnten wir auch die verursachten Schmerzen und anderen Beschwerden nicht bewusst zuordnen, sie waren ganz einfach von Beginn an fester Teil unserer Wahrnehmung. Unser Leid konnten wir daher nicht als solches erkennen, mussten den Verlust erst realisieren, den Schmerz nicht mehr verdrängen, sondern zulassen. Möglich wurde dies erst im Erwachsenenalter, durch Zufälle und über Umwege, während eines jahrelangen, schwierigen Prozesses, der noch immer andauert. Dabei mussten wir auch feststellen, dass viele andere dieses Leid teilen, aber nur wenige darüber sprechen, aus Scham, aus Schmerz und aus Angst, dass es ignoriert, bagatellisiert oder in verharmlosender Weise umgedeutet wird. Diese sprachliche Gewalt vergrössert das Leid oft über die Körperverletzung hinaus.
Ephraim:
Wir bringen darum klar zum Ausdruck, was alle hier in ihrem Innersten ohnehin wissen: Was uns angetan wurde, war Unrecht. Immer wieder sind wir fassungslos darüber, dass uns dieses Leid zugefügt wurde und jeden Tag aufs Neue weiteren Kindern zugefügt wird. Statt endlich darüber zu sprechen, wie wir unserer Verantwortung nachkommen können, Kinder möglichst wirksam davor zu schützen, wird heute unser Recht am eigenen Körper erneut zur Diskussion gestellt, mit einem Fragezeichen im Titel dieser Veranstaltung, so als stünde das überhaupt jemandem zu. Nein, kein Mensch hat ein Recht darauf, den Körper eines anderen Menschen ohne dessen Einwilligung zu verletzen, ja gar einen höchst intimen Teil davon abzuschneiden. Erst recht nicht bei einem Kind, das sich nicht wehren kann. Wir alle wissen das, wir alle spüren es, nehmen wir es also nicht weiter hin! Rechtsstaat und Behörden fordern wir auf: Handeln Sie, nehmen Sie Ihre Pflicht wahr. Wer in einer Entscheidungsposition steht und meint, sich neutral dazu zu stellen, bestätigt und stärkt die aktuelle Situation, in der Erwachsene aus der Position der Stärke gewaltsam über den Körper von Kindern sowie über ihr späteres sexuelles Erleben lebenslang bestimmen, und dann auch noch willkürlich nach Abstammung, Geschlecht oder anderen beliebigen Kriterien. Wir sagen heute dazu Nein, weil wir es als Kinder nicht konnten. Kommende Generationen werden wissen, dass Sie das gehört haben und werden Sie an dem, was Sie heute sagen und an Ihren Entscheidungen messen.
Wir stehen darum auch hier, um Ihnen Mut zu machen, denn wenn wir es schaffen, unser Schweigen zu brechen und für diese Grundrechte einzustehen, dann können Sie das auch. Auch stellen wir uns für den Dialog zur Verfügung, nicht allein um Verständnis für unser persönliches Leid zu schaffen, sondern, weil die Kinder selbst nicht in der Lage sind, weil sie sonst hier keine Stimme haben, so wie unsere Stimme als Kinder ungehört blieb. Lassen Sie uns anerkennen, dass die jetzige Normalität gewaltvoll ist. Wagen wir es, gemeinsam den Weg aus ihr hinauszugehen und jedem Kind das Recht zu gewähren, mit unversehrten Genitalien aufzuwachsen und über den eigenen Körper selbst zu bestimmen.